Kaum eine Figur verkörpert die Dualität von weiblicher Unterdrückung und weiblicher Selbstermächtigung so prominent wie die Hexe. Stets ist sie Gegenstand in Kunst und (Pop-)Kultur, und hat gerade durch Serien wie Motherland: Fort Salem als feministische Ikone Hochkonjunktur. Wenn ihr euch für das Hexenthema aus (queer)feministischer Perspektive interessiert, raten wir euch, den Hexen-Blog ANDERS[nicht]ARTIG zu besuchen.
Der Blog
„Was war und ist Hexerei? Ist sie ein historisches Phänomen oder gibt es sie noch heute? Sehen sich Menschen als Hexen oder Hexer oder wie wird es ihnen zugeschrieben?“
All diesen Fragen widmet sich der Themenblog ANDERS[nicht]ARTIG. Ins Leben gerufen wurde die Webseite als Projekt des Marburger Themenjahres Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung, welches von 2020 bis 2021 stattfand. Das Themenjahr behandelte sowohl die historischen Hexenprozesse der Stadt, als auch den zeitgenössischen Hexenglauben. Dabei wurden vielfältige kulturwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Perspektiven zusammengebracht, um den Marburger*innen das Hexenthema näherzubringen. Eines der zahlreichen Projekte, die ihm Rahmen des Themenjahres realisiert wurden, ist der Online-Blog ANDERS[nicht]ARTIG. Betreut durch ein Team an Kulturwissenschaftlerinnen, widmet sich der Blog der Hexe aus sowohl historischer, als auch zeitgenössischer Perspektive und inkludiert dabei auch feministische Ansätze. Der Hexen-Blog wird ständig ausgebaut und wächst. Seit 2022 liegt der Fokus des Blogs auf Hexen in gegenwärtiger Kunst und Kultur. Ebenso könnt ihr selbst Beiträge einreichen. ANDERS[nicht]ARTIG findet ihr auch auf Instagram.
Anders, aber nicht artig …
Was hat es mit dem ungewöhnlichen Namen auf sich?
Ein Kernthema des Blogs ist Andersartigkeit. Vielen von euch wird bestimmt der englische Begriff othering bekannt sein. Er beschreibt die Abgrenzung von einer Gruppe („Wir“) zu einer Anderen („die Anderen“). Diese Beziehung zwischen dem „Wir“ und „den Anderen“ ist von einem starken Machtgefälle geprägt. Oftmals sind mit besagter Ab- und Ausgrenzung der „Anderen“, auch Stigmatisierung, Diskriminierung und negative Fremdzuschreibungen verbunden.
Die Hexe als historische, aber auch als gegenwärtige popkulturelle Figur, ist quasi die Verkörperung der Andersartigkeit und all der gesellschaftlichen Problematiken, die damit einhergehen. Die Hexe wird als gesellschaftliche Outsiderin verstanden, als Persona (oder eher „Femina“) non grata, die sich gegen gesellschaftliche Normen stellt. Das muss nicht durch bewusste Rebellion sein, es braucht lediglich die reine Existenz eines Menschen, der in den Augen der Obrigkeiten nicht gesellschaftskonform lebt. Hexen sind und waren gewöhnliche Menschen, die aus irgendeinem Grund aus dem Raster der gesellschaftlichen Vorstellung ihrer Zeit fallen. Menschen, die eben anders und nicht immer artig waren.
Viele Fragen, viele Antworten …
Auf dem Blog erwarten euch die verschiedensten Beiträge rund ums Thema Hexen. Es gibt verschiedene Blogthemen, die sich bestimmten Aspekten des Hexenthemas zuwenden. So gibt es eine Kategorie für die historischen Hexenverfolgungen und die Andersartigkeit, in denen es beispielsweise darum geht, was das Hexenmuster der Vergangenheit mit Ausgrenzungsmechanismen und Feindbildkonstruktion der Gegenwart zu tun hat. Oder die Rubrik Künstlerisches, in der die Darstellung der Hexe in der Kunst Thema ist. Der Blog bringt euch das Hexenthema stets auf niedrigschwellige, gut verständliche Art und Weise näher. Ihr müsst also keine Wissenschaftler*innen sein, um die Inhalte des Blogs zu verstehen! Viele der Beiträge haben zudem Literatur- oder Videotipps für euch parat, falls ihr euch weiter informieren wollt.
Persönlich finde ich, dass einige der Beiträge sehr zum Nachdenken anregen, insbesondere jene, die sich mit etwas schwereren Themen auseinandersetzen.
„Eines der frauenfeindlichsten Bücher der Weltliteratur“
Ein Blogbeitrag dreht sich beispielsweise um den Malleus Malleficarum, (übersetzt „Hexenhammer“). Nicht ohne Grund ist es als das „frauenfeindlichste Buch der Weltliteratur“ bekannt. Der Hexenhammer ist ein rund 500-seitiges Traktat des Dominikanermönchs Heinrich Kramer, das Ende des 15. Jahrhundert herauskam. Vor allem durch seinen höchst misogynen Inhalt sticht das Werk heraus. So behauptete Kramer, dass Hexen so gut wie immer Frauen waren, denn diese besäßen eine ihnen innewohnende Boshaftigkeit und Niederträchtigkeit, was sie zu den perfekten Dienerinnen des Teufels machten. Diese misogynen Gedankengüter sind leider immer noch in der Gesellschaft verankert, nur zeigen sie sich anders als vor 500 Jahren. Jetztzeitige soziale Bewegungen und Phänomene mit sexistischen und frauenverachtendem Inhalt sind beispielweise das slutshaming, oder die Incel-Kultur, in der Frauen als Sexobjekte gesehen und diskreditiert werden.
Die Hexe als Feminismus-Ikone
Doch auf anders[nicht]artig geht es zum Glück nicht nur um die blutigen und tödlichen Folgen von patriarchaler Gewalt, sondern der Blog informiert auch über das feministische Potential, dass der Hexe zugeschrieben wird. Während der Begriff Hexe in der frühen Neuzeit ausschließlich eine stigmatisierende Fremdbezeichnung war, sind Hexen heutzutage häufig feministische Identifikationsfiguren. Die Hexe steht für unterdrückte, aber selbst ermächtigte Weiblichkeit. Sie ist eine selbstbewusste Rebellin, die sich mit ihrem Handeln gegen die gesellschaftlichen Normen stellt und für eine gleichberechtigtere Zukunft kämpft. Sie nutzt ihre Magie für nichts Schädliches, sondern dafür, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Mit jedem neuen Beitrag lernen Leser*innen etwas Neues über die Hexen und die Vorstellung von Hexerei in der Vergangenheit und Gegenwart. Wir lernen, wie wichtig es ist, sich immer wieder mit diesen Themen auseinanderzusetzen, denn Feindbildkonstruktion, Misogynie und soziale Ausgrenzung sind keine Relikte der Vergangenheit. Und letztendlich lernen Leser*innen, dass in der Figur der Hexe immer auch eine Möglichkeit besteht, Wut und Hass feministisch zu begegnen. Für alle diejenigen, die sich für die Hexenfigur interessieren, lohnt sich dieser Blog definitiv.
Kristina Andabak
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