Triggerwarnung: Dieser Bericht beschreibt einen Todesfall. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend und retraumatisierend finden. Lest diesen Text also nur, wenn ihr euch psychisch stabil genug fühlt.
Im Landgericht Bremen findet von September bis voraussichtlich Januar der Prozess um den 66-Jährigen Mann aus Bremerhaven statt, der seine Lebensgefährtin durch einen Kopfschuss getötet haben soll. Wir waren bei den ersten beiden Verhandlungstagen dabei und berichten euch von dem Geschehen. Diese Berichterstattung ist wichtig, da es sich um einen mutmaßlichen Femizid handelt. „Der Begriff Femizid steht für die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts„.
Die bisherigen Prozessberichte könnt ihr hier nachlesen: Bericht 1, Bericht 2, Bericht 3, Bericht 4
Prozesstag 8
Eine Woche später sind wir wieder im Gericht. Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt. Und damit auch das Abspielen der Telefonate, die im Zuge der Telekommunikations-Überwachung aufgezeichnet wurden.
Telefonüberwachung: Skepsis einer Bekannten
Die folgenden Telefonate fanden zwischen einer bestimmten Bekannten des Angeklagten und jeweils einer anderen Person statt. In den verschiedenen Gesprächen mutmaßt die Bekannte stets über die Schuld des Angeklagten. Er habe alles so geplant, erzähle ihr verschiedene Geschichten zum Ablauf der Tat und habe sie sterben lassen, so die Bekannte am Telefon. Sie äußert zudem Zweifel dass die Geschädigte es, in Form eines Suizides, selber gewesen sei. Es sähe dem Angeklagten, ihrem Bekannten, ähnlich, anderen die Schuld zu geben.
Rechtsmedizin
An diesem Tag werden verschiedene Sachverständige des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin geladen. Diese waren einige Stunden nach dem Notruf informiert und zur ersten Leichenschau an den Tatort gerufen worden. Auch zu den Befunden der Blutspurenmuster am Tatort sowie der DNA-Spuren an der Waffe wird an diesem Tag ein Zeuge aus dem Hamburger Institut für Rechtsmedizin geladen.
Erste Tatortsichtung und Leichenschau
Zunächst erstattet eine Ärztin des Instituts für Rechtsmedizin ihr Guttachten dem Richter. Am Tag des Geschehens erreichen sie und ihr Kollege den Tatort gegen 13:00 Uhr. Bei ihrem Eintreffen wird sie von Streifenpolizist*innen darüber informiert, dass eine Nachbarin am Vorabend wohl schussartige Geräusche gehört haben soll. Die Zeugin erklärt im Gerichtssaal ihre Tatortsichtung; zu sehen gewesen seien der Leichnam der Geschädigten in Bauchlage, daneben der Esstisch, ein umgekippter Stuhl, neben Medikamenten und Drehzeug eine Handfeuerwaffe auf dem Esstisch, unter dem Couchtisch eine Handfeuerwaffe und im Schrank im Hausflur ebenfalls eine Handfeuerwaffe.
Bei der Inspektion des Leichnams sei der Zeugin aufgefallen, dass die Hände der Geschädigten nicht sichtbar, sondern unter dem Oberkörper verschränkt lagen. Die nun durchzuführende Leichenschau, so die Zeugin des Instituts für Rechtsmedizin, begann mit dem Wenden des Leichnams. Dabei waren einige Verletzungen festgestellt worden. Zwei Wunden im Schädel, von dem Kopfschuss stammend, wobei an einer der Wunden Schmauchspuren festgestellt werden konnten, was auf die Einschussstelle schließen ließe. Am linken Unterarm habe die Rechtsmedizinerin eine 20 Zentimeter lange Hautunterblutung festellen können, genauso wie am Handgelenk. Schon bei der ersten Leichenschau hatten die Mediziner keine Schmauchspuren an den Händen der Geschädigten festgestellt, so die Zeugin.
Im Anschluss berichtet die Zeugin von der Todeszeitdiagnostik, die durchgeführt wurde, um den Zeitpunkt des Todes der Geschädigten weitestgehend einzuschränken. Dafür wurde der Leichnam gegen Abend nach Hamburg zum Institut für Rechtsmedizin überführt. Vor Ort konnte der Tat-Zeitraum auf 04:10 bis 08:40 Uhr eingeschränkt werden. Die Zeugin erklärt vor Gericht, dass es nach ihren Untersuchungen keine Befunde für eine eigene Schussabgabe der Geschädigten gäbe. Auf Nachfrage des Richters erklärt sie, dass weder Projektil noch Hülse der Tatwaffe im Zeitraum der Leichenschau vor Ort gefunden wurden.
Blutspurenmuster am Tatort
Anschließend wird der zweite Zeuge in den Zeugenstand gerufen. Dieser ist Biologe am Hamburger Institut für Rechtsmedizin und berichtet von den Blut- und DNA-Untersuchungen. Er berichtet, wie er am kommenden Tag zum Tatort kam und dort die Blutspuren untersuchte. Aus den Blutspuren resultiere, so der Zeuge, dass die Tat in einer niedrigen Geschwindigkeit geschah, da der Radius der Blutspritzer der Geschädigten relativ gering war. Der Zeuge erklärt, dass er anhand seiner Untersuchungen nicht einschätzen könne, wer den Schuss abgefeuert hat.
DNS-Spuren an der Tatwaffe
Der Zeuge fährt mit der DNS-Spuren-Untersuchung fort. Die Tatwaffe wurde in ihren Einzelteilen nach DNS-Spuren untersucht. Bei einer DNS-Untersuchung können bis zu 16 DNS-Merkmale festgestellt werden. Je mehr, desto dominanter die Spur.
Am Griffstück, so der Zeuge, fanden sich DNS-Spuren des Angeklagten und der Geschädigten. Am Abzug ebenfalls Spuren beider Personen, jedoch seien die Merkmale der Geschädigten dominanter gewesen. Am Abzugsbügel war ein Mischmuster zweier DNA-Spuren erkennbar, jedoch konnte der Zeuge eine männliche DNS ausschließen. Am Hahn der Waffe seien lediglich Spuren der Geschädigten gefunden worden. Im Lauf der Waffe waren Blutspuren der Geschädigten identifiziert, was typisch bei einem Nahschuss sei, so der Biologe des Instituts für
Rechtsmedizin. Am Magazin der Waffe waren wiederrum Spuren beider Personen nachgewiesen worden und an den nicht-abgefeuerten Patronen Spuren des Angeklagten.
Die Patrone der Waffe, so der Richter, war einige Zeit später in einem Briefumschlag gefunden worden. Dabei ist unklar, wie sie dort hinkam und von wo sie abgefeuert wurde. An der Hülse und dem Projektil waren einstimmige Merkmale der Geschädigten gefunden worden.
Zum Ende seiner Aussage wird der Zeuge nach seiner Einschätzung als sachverständiger Biologe des Instituts für Rechtsmedizin gefragt. Das Ergebnis seiner Untersuchung sei, dass beide Personen die Waffe mindestens einmal angefasst haben. Am Abzug selbst waren die DNS-Merkmale der Geschädigten dominanter als die des Angeklagten. Dennoch könne er nicht eindeutig sagen, wer den Schuss tätigte, da die Spuren der Geschädigten auch älter gewesen sein könnten.
Der Zeuge wird verabschiedet und der Richter beendet auch den heutigen Gerichtstermin. Wir machen uns auf den Heimweg.
Helena Bizarmanis
Schreibe einen Kommentar